Es siehet der Mensch
Mit dem welt-erzeugten Auge,
Ihn bindet, was er siehet
An Weltenfreude und Weltenschmerz,
Es bindet ihn an alles
Was da wird, aber minder nicht
An alles, was da stürzet
In Abgrundes finstre Reiche.
Es schauet der Mensch
Mit dem geistverliehnen Auge,
Ihn bindet, was er schauet
An Geisteshoffen und Geistes-Halte-Kraft,
Es bindet ihn an alles
Was in Ewigkeiten wurzelt
Und in Ewigkeiten Früchte trägt.

Aber schauen kann der Mensch
Nur wenn er des Innern Auge
Selber fühlet als Geistes-Gottes-Glied,
Das auf der Seele Schauplatz
Im Menschen-Leibes-Tempel
Der Götter Taten wirket.
Es ist die Menschheit im Vergessen
An das Gottes-Innere.
Wir aber wollen es nehmen
In des Bewußtseins helles Licht
Und dann tragen über Schutt und Asche
Der Götter Flamme im Menschenherzen.

So mögen Blitze unsre Sinneshäuser
In Schutt zerschmettern:
Wir errichten Seelenhäuser
Auf der Erkenntnis
Eisenfestem Lichtesweben,
Und Untergang des Außern
Soll werden Aufgang
Des Seelen-Innersten.

Das Leid dringet heran
Aus Stoffes-Kraft Gewalten,
Die Hoffnung leuchtet
Auch wenn Finsternis uns umwallt,
Und sie wird dereinst
In unsre Erinnerung dringen
Wenn wir nach der Finsternis
Im Lichte wieder leben dürfen.

Wir wollen nicht, daß diese Leuchte
Dereinst in künft'gen Helligkeiten uns fehle
Weil wir sie jetzt im Leide
Nicht in unsre Seelen eingepflanzet haben.

Rudolf Steiner
Den Berliner Freunden

1923

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